gewagt kommt von gewogen. bildung kommt von bild. und musik aus dem kopfhörer. nein, aus dem proberaum. it’s bootleg-time. gewogen war ich der band the broken beats lange zeit. bevor sie wie retorten-strokes klangen und weit bevor sie sich in popsphären entbanden, deren tondunst scheinbar nur kim munk durchdringt. sein gusto prangt nun wie ein kaufmich-sticker auf dem plattencover, zieht sich wie ein tinnitus durch jedes neu kreierte songgerüst, hängt wie spucke im mikro für jede neue gesangsspur. eine pseudokreative inszenierung jagt die nächste. kim munk und sein starensemble „galaxy symphony orchestra“, bereits für den nächsten fahrstuhl.
eine szene, wie sie christian kracht erlebt haben könnte: im freiburger walfisch, 2006, 5 euro, konzert bereits begonnen. promoten für das album „them codes…them codes“. ja, das konnten sie gut. die bassistin maria steht noch am tresen und schwatzt, während kim unerkennbares ins mikro jodelt. zwischen dhouu und daiihh und drei umdrehungen liegen ein paar schlücke bier. eine geräuschkulisse von gesprächen, flaschengeklimper und bassgedudel. irgendwo ein paar herumfliegende töne. die niemand beachtet, denn so wichtig sind sie nicht. bis: „well everybody knooows it’s tiiime to try“. ein kurzer moment der aufmerksamkeit. er vergeht schnell wieder, doch die szenerie hat sich verändert. es herrscht nur noch latente indifferenz, stillschweigendes wippen, ein kurzer blick, der erste fuss bewegt sich. die bassläufe werden plötzlich sichtbar, wie stroboskop-fäden stottern sie durch den miefigen raum. der beat treibt die ersten schweissperlen auf die stirn, anzeichen von indietronic-offbeat-getacker aus der hintersten reihe. signal, signal. die gitarre hustet ein düsteres solo, wird aber sofort vom refrain verschluckt. wieder kims „everybody knooows“. danach kam nichts mehr. aber was sollte danach noch folgen? es war alles gesagt.
“everybody knows” ist der siebte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
nein, „nicht-orte“ von marc augé ist keiner der verstaubten anthropologischen wälzer, die man nur sachte aufblättern darf, da sonst das feine papier in den eigenen, groben fingerkuppen zu bröseln beginnt. kein leineneinband oder emblem ziert die stolze imperialistische errungenschaft von feldforschung in wilden, fremden gebieten. die zeiten, in denen sich die ethnologie über tropenhüte und stark profilierte wanderschuhe definierte, sind passé. ethnologen – das ist längst klar – sind darin gescheitert, das soziale zu vermessen, indem sie „dicht beschreiben“ (geertz), mit notizblöcken oder papyrusrollen.
das leichte büchlein „nicht-orte“ zeigt einen leeren parkplatz. kultur: westlich. motiv: konsum. mobilität: auto. es ist – und dies macht der autor schnell und unweigerlich deutlich – eine ethnografie des nahen. sie betrifft uns alle.
dass die thematik „raum“ und „räumlichkeit“ in den letzten drei dekaden ein schattenpflänzchendasein fristete und nun plötzlich wieder ins tageslicht des literarischen wie wissenschaftlichen interesses zurückgeholt wird, macht sich sehr leicht an der neuauflage dieses von marc augé 1991 verfassten werkes fest.
doch warum? der raum ist doch ohnehin erschlossen. google-earth bildet jeden zentimeter der erdkugel ab und telekommunikation via apfel geschieht zudem in nahezu gleichgeschalteter gleichzeitigkeit. es besteht keinen zweifel daran: die vermessung der welt ist abgeschlossen. raum spielt keine rolle mehr. oder?
augé widerspricht hier nicht, aber er spezifiziert. er unterscheidet die spatiale, geographische erschliessung von raum und die soziale. letztere bezieht sich darauf, dass ein ort nicht per se ist, sondern gebildet wird. augé: „sobald individuen zusammenkommen, bringen sie soziales hervor und erzeugen orte.“ (ebd., 110). raumbegriffe wie „wege“, „schnittpunkt“ oder „zentrum“ (vgl. ebd., 69) müssen in dieser hinsicht neu gefasst werden: welche interaktionswege sind gangbar? welche kommunikativen schnittpunkte werden an welcher stelle deutlich? und wo ist – ungleich zum stadtkern – das zentrum des ortes wirklich?
augés kritisches auge richtet sich auf jene orte, die eine eigenartige paradoxie vereint. sie sind voll mit menschen und doch in sich leer. er nennt sie „nicht-orte“. diese nicht-orte, wie z. b. flughäfen, u-bahnen, flüchtlingslager, supermärkte und hotelkette, sind ‚orte des ortlosen‘. man ist nicht heimisch in ihnen. sie bilden keine individuelle identität aus, haben keine gemeinsame vergangenheit und schaffen keine sozialen beziehungen. sie sind zeichen kollektiven identitätsverlusts.
„der nicht-ort ist das gegenteil der utopie; er existiert, und er beherbergt keinerlei organische gesellschaft.“ (augé 2012, 111)
die nicht-orte, die von der moderne geschaffen wurden, leben in der postmoderne fort und bieten ein tristes schauspiel der vereinsamung (s. cover). dies kulminiert in digitalen nicht-orten, die den menschen jederzeit als ausflucht zu sozialen interaktionen bereitstehen. flimmernde lichtquellen mit wahllosen inhalten zirkulieren im abseits und kreieren in ihrem gesamt eine szenerie des gedanklichen schweigens.
das buch endet im düsteren, doch der leser spürt, dass augé genau jene kehrseite von nicht-orten nicht beleuchtet hat, die der gesellschaftlichen evolution zum wiederholten male einen dialektischen twist verpasst. sind es nicht die nicht-orte, die raum für neue strukturen bieten? die nicht mit geschichte belegt sind? an denen sich menschen finden können, aber nicht müssen? die raum raum sein lassen?
um es in die worte von camus einzupassen: müssen wir uns einen nicht-ort nicht als einen glücklichen ort vorstellen?